Furia... Furia? Schläfst du?
Verzeih... Ich wollte dich nicht wecken. Ich musste nur gerade an dich denken. Wenn meine Freunde wüssten, wie oft ich an dich denke... Sie würden lachen... Sollen sie nur lachen. Es macht nichts. Es vergeht kaum ein Moment, an dem ich nicht an dich denke. Mir vorstelle, wie du wirklich aussiehst. Mir vorstelle, wie viele du einst glücklich gemacht hast.
Wenn ich dich jetzt sehe... Macht mich das unglücklich. Du hast all dein Leben verloren. Du hast all deine Freude verloren. Es ist, als ob dich selbst aufgegeben hättest. Egal wie sehr man es versucht... Du scheinst niemanden mehr glücklich machen zu wollen. Doch das ist in Ordnung. Ich liebe dich dennoch... Ich verstehe, dass du Zeit brauchst. Wer weiß... Vielleicht brauchst du nur den Beweis, dass wir alle dich noch immer brauchen.
Glaub' mir, wir brauchen dich. Gib uns nicht auf.
Wenngleich all das Leben von dir gewichen ist, nichts als Wüsten deine Oberfläche bedecken... So bist du doch unsere Welt. Es stimmt. Wir haben deinen wahren Namen vergessen. Niemand erinnert sich mehr daran, wie du in der Blüte deiner Tage ausgesehen haben magst. Ich kann mir nicht einmal vorstellen, wie viele Tiere es auf dir gegeben hat. Wie viele Städte!
Es muss ein wunderbarer Anblick gewesen sein. All die Dinge, von denen wir heute leben, in ihrem wirklichen Glanz...
Alles, was von dieser Zeit übrig ist, sind die Ruinen, die aus dem Sand heraus ragen. Verblichen in der Sonne und dazu verdammt in den Sanden zu verschwinden. Ist es nicht Ironie, dass wir von den Dingen leben, die aus der Zeit stammen, die dich zerstört hat? Verzeih... Ich wollte nicht lachen. Vielleicht will die Kaiserin nicht, dass wir dich besuchen kommen, weil sie nicht will, dass wir es schlimmer machen? Ich finde das falsch. Wir müssen sehen, was unsere Vorfahren hinterlassen haben.
Über den Wolken, da wo unser Leben auf den fliegenden Inseln weitergeht, wird viel zu oft vergessen, wie schlecht es dir geht. Danke... Danke, dass du uns deine Kinder geschenkt hast. Trotz all dem Schmerz, den du erlitten hast, hast du uns Bruchstücke deiner Selbst – deine Kinder – in Obhut gegeben. Weit über dem ewigen Nebel, dem Wolkenmeer. Da sind sie noch! Du kannst sie nicht sehen, aber wir leben auf ihnen. Ich auch, auch wenn ich dir gerne näher bin.
Da! Siehst du das? Im Nebel ist eine Lücke. Sieh genau hin, denn diese Momente dauern nie mehr, als ein paar Sekunden. Die Insel da... Die dunkle. Das ist mein Zuhause. Da lebe ich mit meiner Mutter. Die Leute nennen es Slums, aber ich glaube es schämt sich jeder nur, es ''Zuhause'' zu nennen. Ich nicht. Es ist mein Zuhause. Ich bin da geboren und da lebe ich. Wir reden oft über dich, auch wenn wir aufpassen müssen. Du weißt ja... Es ist verboten dich zu besuchen. Wir, die Himmelsstürmer, sind die einzigen, die dich besuchen und schauen, ob wir Dinge aus der Vergangenheit finden. Dinge, mit denen wir unsere Insel vergrößern oder aus denen wir unsere Kleidung machen können. Dinge, die nützlich und Dinge, die einfach nur schön sind. Oh ich wünschte, ich könnte diese Welt... Diese vergangene Welt nur ein einziges Mal sehen.
Slums. Kein schöner Name, aber jeder weiß, dass damit unsere Insel gemeint ist.
Sie ist so weit unten, weil so viel Schrott und Metall hoch gebracht wurden. Ist doch Ironie. Ohne all das hätten wir auf unserer Insel nicht genug Platz. Andererseits zwingt alles, was wir nach oben bringen, unsere Heimat ein paar Millimeter weiter zu dir... Furia. Hey, hörst du mir noch zu?
Weit über uns, da befindet sich das Schloss Furia. Die Kaiserin und ihre Familie lebt dort. Genauso wie der Adel und die ''Engel''. Ich glaube nicht, dass du schon mal ein solches Tier gesehen hast oder? Sie sehen aus wie jeder andere, aber sie haben große, weiße Flügel. Sie werden in jeder Familie geboren, gleich oder Adel oder normaler Bürger, aber... Sie dürfen nur auf den obersten Inseln – also den Kaiserinseln – leben. Jeder weiß, dass es ihnen dort gut geht, aber es ist dennoch... Ein Gefängnis oder? Ich habe Angst, wenn ich mir das vorstelle. Ich möchte da nicht leben.
Ja, ich bin auch ein Engel. Hab ich dir das noch nie erzählt?
Mein Vater ist gestorben, als ich noch ganz, ganz klein war. Meine Mutter allerdings hat das geschafft, was ihr niemand zugetraut hätte. Sie hat mich versteckt! Ich kann mir nicht mal vorstellen, wie schwer das gewesen sein muss. Hätte auch nur ein einziger meine Flügel verraten, dann wäre ich nicht die, die ich heute bin. Du musst dir vorstellen: Ich kann die Flügel ganz, ganz klein machen, so dass man sie nur sehen würde, wenn ich meinen Rücken zeige. Ich war 5, als ich es geschafft habe, sie zum ersten Mal selbst zu verbergen. All die Jahre hat meine Mutter mich beschützt... Wären meine Freunde, die Gilde, nicht gewesen, hätte es bestimmt nicht geklappt. Die Gilde ist eine Gruppe von absolut verrückten Typen, alles Himmelsstürmer, die eine Bar in der Nähe meines Hauses betreiben. Meine Mutter und mein Vater gehörten auch dazu. Offiziell gibt es natürlich nur die Bar, aber jeder ist stolz auf das, was er macht.
Jeder von ihnen ist irgendwie mein Vater. Jeder von ihnen ist irgendwie meine Mutter. Ich kann verdammt dankbar sein für das, was ich bin und was ich habe. Glaub' mir: Ich bin es. Meine Mutter ist heute zwar keine Himmelsstürmerin mehr, aber jeder ihre Geschichten sind unglaublich. Sie ist um die halbe Welt gereist, hat andere Inseln gesehen und Ruinen erforscht, die weit, weit unter den Sand reichen. Oh! Wenn ich nur daran denke, werde ich ganz aufgeregt!
Hm? Warum ich nicht da hin gehe? Naja... Meine Familie ist hier. Nein! Ich habe keine Angst! Doch ich schule ihnen so viel... Ich kann nicht einfach gehen. Ich bin nicht unglücklich hier, also ist es in Ordnung. Irgendwann werde ich die Welt bereisen und vielleicht auch erfahren, was mit dir passiert ist. Ganz egal ob die Kaiserin das nun möchte oder nicht. Wir sind immerhin alle deine Kinder oder etwa nicht?
Was könnte ich dir noch erzählen?
Vielleicht magst du ja etwas von mir hören. Mein Name ist Sierra. Ich bin, genauso wie meine Mutter, eine Füchsin. Habe allerdings das hellbraune Fell von meinem Vater geerbt. Ich habe blaue Augen und bin 15 Jahre alt. Gerade alt genug, dass meine Mutter mich nicht umbringt, wenn ich dich besuche. Ja, sie ist jedes Mal wieder wütend, aber trotzdem... Sie bringt mich nicht um.
Ich habe langes Haar... N bisschen zu lang sogar. Ich binde es zwar zusammen, aber der Zopf reicht fast bis zu meinem Schwanz. Wenn er noch länger wird, muss ich aufpassen, nicht darüber zu stolpern. Ich habe ziemlich kleine Brüste, aber meine Mutter sagt – jeden Tag – dass das noch wird. Die hat ja auch gut reden...Diese Kuh.
Meine Flügel zeige ich natürlich nie. Niemand von uns spricht über sie... Auch wenn ich sie nicht hasse. Ganz und gar nicht! Ich liebe sie! Immerhin gehören sie zu mir. Doch wenn sie jemand sehen würde... Glücklicherweise ist es schwer, sie in ihrer kleinen Form zu verbergen. Groß werden sie nur, wenn ich das möchte oder ich meine Gefühle nicht unter Kontrolle habe. Also wenn ich richtig, richtig wütend oder traurig werde.
Einen Freund habe ich nicht. Hatte ich auch nie. Wer braucht das schon? Ich hatte noch nie Interesse an Kerlen. In der Gilde sind die eh alle viel zu alt und ansonsten kenne ich nur Idioten. Wer etwas auf dem Kasten hat, denkt nur an das eine... Du weißt schon. Alle anderen finde ich langweilig. Ich bin glücklicher Single und das ist gut so. So kann man bessere Witze darüber reißen.
Du möchtest mehr von den Slums wissen? Natürlich.
Die Straßen, Gebäude und Brücken... Eigentlich alles ist, wie gesagt, aus dem Schrott gebaut, was wir in den Wüsten gefunden haben. Die Kaiserwache weiß davon, aber nimmt es stillschweigend hin. Nicht, dass wir Himmelsstürmer sind, aber dass wir das Zeug brauchen.
Es gibt Maschinen - so wie mein Himmelsbike – die mit Dampf oder dem Nebel selbst angetrieben werden. Ich habe nicht wirklich viel Ahnung davon, aber es ist cool, dass sie sich von allein bewegen können. Ich kann gut fliegen, habe aber wenig Ahnung von Technik.
Mein Himmelsbike, das ich Rave genannt habe, gehörte früher meiner Mutter. Es hat dieselben Düsen, wie die großen Luftschiffe der kaiserlichen sie haben. Keine Ahnung, wie sie da ran gekommen sind, aber vielleicht erfahre ich es ja noch irgendwann. Die meisten anderen Düsen sind nicht so stark. Na gut... Immerhin kommen die ja auch aus der Wüste. Ich bin zufrieden mit dem, was ich habe.
…
Furia? Darf ich dir eine Frage stellen, bevor ich aufwache?
Bist du... Böse auf uns? Meinst du, dass du uns jemals verzeihen kannst? Es macht mir Angst, wenn ich mir vorstelle, dass die Welt, auf der wir leben, uns hasst. Ich würde es verstehen, wenn es so wäre, aber Angst habe ich dennoch. Ich schwöre dir, wenn es einen Weg gibt, dich wieder glücklich zu machen... Dich wieder schön zu machen... Dich einfach wieder zum Lächeln zu bringen: Dann werde ich ihn finden. Wer weiß? Vielleicht ist die Legende ja wahr.
Vielleicht gibt es einen Weg dich wieder erblühen zu lassen.
Wenn... Dann werde ich ihn finden.
…
…
…
Sierra öffnete langsam die Augen und verzog sofort ihr Gesicht. Es war völlig gleich wie viel Mühe sie sich gab vor dem Schlafen das Fenster zu schließen... Am nächsten Morgen waren die Fensterläden wieder offen und rissen sie mit den ersten Sonnenstrahlen aus dem Schlaf. Es war bestimmt schon Mittag...
Die Füchsin lag nackt... Kniete wie immer in ihrem Bett. Sie schlief immer ohne Klamotten – war ja eh nur ihre Mutter im Haus – und genauso wachte sie jeden Morgen einer unmöglichen Positionen auf. Heute: Gewicht auf der Brust, Hintern in die Höhe.
Gestern: Beine auf dem Bett, Kopf auf dem Boden.
Ihre Mutter hatte früher Angst, dass sie schlafwandeln würde, aber das war nicht der Fall.
Jetzt erst mal strecken... Unter den Armen kratzen... Wasser aus der stets neben dem Bett stehenden Feldflasche trinken.
Sierras Haus hatte 2 Stöcke und mehr Zimmer, als sie und ihre Mutter brauchten. Vielleicht war das auch der Grund, wieso sich ihre Mutter so unbedingt einen Freund für ihre Tochter wünschte. Immerhin war sie damals im selben Alter schwanger geworden.
Eine Vorstellung, die Sierra nicht zwingend teilen wollte.
Sie war noch Jungfrau.
…
Die Klamotten, die in den Slums getragen wurden, waren alle gleich: Braun. Hell oder dunkel, aber braun. Trug jemand eine andere Farbe, vor allem die bunten, gehörte er offensichtlich nicht in die Slums. Färber gab es nur auf den Kaiserinseln.
Sierra trug üblicherweise eine Hose – wobei sie auf Unterwäsche verzichtete – und ein ein einfaches Hemd. Um die Brust und um die Flügel... Sowie um die Füße und Hände hatte sie Fetzen ihrer alten Kinderklamotten – ebenfalls braun – gebunden.
Sie hatte wirklich kein Problem mit ihrem Körper und genoss den Anblick im Spiegel, aber es war einfach praktischer. Ihre Flügel waren unmöglich zu sehen – und drückten nicht durch das Hemd, wenn sie sich mal aufregte – und ihre Brüste schlicht sicher. Den Blick lockten ihre 2 ''Blickfänger'' – wie sie es nannte – zwar dennoch, aber immerhin.
Was sie als Himmelsstürmerin, in ihren Augen, auszeichnete: Die Fliegerbrille – sogar mit 2 intakten Gläsern – sowie das darunter befindliche Stirnband. Jetzt noch die Eisenplatte auf die Schulter und ihren Beutel auf die Seite geschnallt. Fertig.
Himmelsstürmerin Sierra fertig zum Einsatz.
…
Als sie aus Versehen in der Drehung zum Fenster mit dem Fuß gegen das Tischbein knallte und kurz vor Schmerz aufschrie, war es schon zu spät. Dass sie sich sofort den Mund zuhielt, schützte sie nun leider auch nicht mehr.
''SIERRA?? BIST DU ENDLICH WACH??''
Sie seufzte innerlich und ließ entsprechend enttäuscht Ohren und Arme sinken.
Beim Schmerz hatte sie ihre Flügel gespürt.
''Ja, Mama. Mit deinem Gebrüll könntest du selbst Leichen wecken!''
''ICH ZEIG DIR GLEICH WAS LEICHEN SIND! DU WARST DOCH WIEDER DIE GANZE NACHT UNTEN ODER?''
''Unten'' war ein gängiger Begriff, der nicht viel Aufsehen erregte.
''Also doch...''
Ihre Mutter stand jetzt in der Tür. Sie trug, wie immer, ein Kleid und eine Schürze. Das Kleid war fast weiß: Es war einst ein Hochzeitsgeschenk gewesen. Ihre Mutter hatte ebenfalls blaue Augen, aber ihr Fell war wesentlich dunkler.
Sie war immer noch schön.
''Aber Mama, ich hab' n paar echt coole Sachen gefunden!''
Ihre Mutter rollte mit den Augen und seufzte. Sierra wusste, dass sie so ihren Stolz zeigte.
''Wenn du meinst deinen Kragen riskieren zu können, dann kannst du dich auch nützlich machen.''
Sierra arbeitete, quasi im Familiengeschäft, als Kurierfahrerin. Diesem Zweck diente zumindest offiziell ihr Rave... Es störte sie nicht, aber wenn man sich schon vor der Arbeit drücken konnte... Wer würde es nicht?
''Zieh nicht so ein Gesicht! Es ist nur ein Paket und ist im Ort. Das wird dich nicht umbringen. Es ist unten. Denk' bitte dran. Alles wie immer.''
Nun war Sierra mit Augenrollen an der Reihe, nickte aber. ''Alles wie immer'' hieß, dass das Paket nur persönlich und nur gegen Bezahlung ausgehändigt werden durfte. Was in Paketen war wusste Sierra nicht, wenngleich nur interessant an den Dingern war, wer sie alles bekam. Sie hatte schon an fast jeder Insel – im Kaiserreich ca. Hundert – ausgelief
Verzeih... Ich wollte dich nicht wecken. Ich musste nur gerade an dich denken. Wenn meine Freunde wüssten, wie oft ich an dich denke... Sie würden lachen... Sollen sie nur lachen. Es macht nichts. Es vergeht kaum ein Moment, an dem ich nicht an dich denke. Mir vorstelle, wie du wirklich aussiehst. Mir vorstelle, wie viele du einst glücklich gemacht hast.
Wenn ich dich jetzt sehe... Macht mich das unglücklich. Du hast all dein Leben verloren. Du hast all deine Freude verloren. Es ist, als ob dich selbst aufgegeben hättest. Egal wie sehr man es versucht... Du scheinst niemanden mehr glücklich machen zu wollen. Doch das ist in Ordnung. Ich liebe dich dennoch... Ich verstehe, dass du Zeit brauchst. Wer weiß... Vielleicht brauchst du nur den Beweis, dass wir alle dich noch immer brauchen.
Glaub' mir, wir brauchen dich. Gib uns nicht auf.
Wenngleich all das Leben von dir gewichen ist, nichts als Wüsten deine Oberfläche bedecken... So bist du doch unsere Welt. Es stimmt. Wir haben deinen wahren Namen vergessen. Niemand erinnert sich mehr daran, wie du in der Blüte deiner Tage ausgesehen haben magst. Ich kann mir nicht einmal vorstellen, wie viele Tiere es auf dir gegeben hat. Wie viele Städte!
Es muss ein wunderbarer Anblick gewesen sein. All die Dinge, von denen wir heute leben, in ihrem wirklichen Glanz...
Alles, was von dieser Zeit übrig ist, sind die Ruinen, die aus dem Sand heraus ragen. Verblichen in der Sonne und dazu verdammt in den Sanden zu verschwinden. Ist es nicht Ironie, dass wir von den Dingen leben, die aus der Zeit stammen, die dich zerstört hat? Verzeih... Ich wollte nicht lachen. Vielleicht will die Kaiserin nicht, dass wir dich besuchen kommen, weil sie nicht will, dass wir es schlimmer machen? Ich finde das falsch. Wir müssen sehen, was unsere Vorfahren hinterlassen haben.
Über den Wolken, da wo unser Leben auf den fliegenden Inseln weitergeht, wird viel zu oft vergessen, wie schlecht es dir geht. Danke... Danke, dass du uns deine Kinder geschenkt hast. Trotz all dem Schmerz, den du erlitten hast, hast du uns Bruchstücke deiner Selbst – deine Kinder – in Obhut gegeben. Weit über dem ewigen Nebel, dem Wolkenmeer. Da sind sie noch! Du kannst sie nicht sehen, aber wir leben auf ihnen. Ich auch, auch wenn ich dir gerne näher bin.
Da! Siehst du das? Im Nebel ist eine Lücke. Sieh genau hin, denn diese Momente dauern nie mehr, als ein paar Sekunden. Die Insel da... Die dunkle. Das ist mein Zuhause. Da lebe ich mit meiner Mutter. Die Leute nennen es Slums, aber ich glaube es schämt sich jeder nur, es ''Zuhause'' zu nennen. Ich nicht. Es ist mein Zuhause. Ich bin da geboren und da lebe ich. Wir reden oft über dich, auch wenn wir aufpassen müssen. Du weißt ja... Es ist verboten dich zu besuchen. Wir, die Himmelsstürmer, sind die einzigen, die dich besuchen und schauen, ob wir Dinge aus der Vergangenheit finden. Dinge, mit denen wir unsere Insel vergrößern oder aus denen wir unsere Kleidung machen können. Dinge, die nützlich und Dinge, die einfach nur schön sind. Oh ich wünschte, ich könnte diese Welt... Diese vergangene Welt nur ein einziges Mal sehen.
Slums. Kein schöner Name, aber jeder weiß, dass damit unsere Insel gemeint ist.
Sie ist so weit unten, weil so viel Schrott und Metall hoch gebracht wurden. Ist doch Ironie. Ohne all das hätten wir auf unserer Insel nicht genug Platz. Andererseits zwingt alles, was wir nach oben bringen, unsere Heimat ein paar Millimeter weiter zu dir... Furia. Hey, hörst du mir noch zu?
Weit über uns, da befindet sich das Schloss Furia. Die Kaiserin und ihre Familie lebt dort. Genauso wie der Adel und die ''Engel''. Ich glaube nicht, dass du schon mal ein solches Tier gesehen hast oder? Sie sehen aus wie jeder andere, aber sie haben große, weiße Flügel. Sie werden in jeder Familie geboren, gleich oder Adel oder normaler Bürger, aber... Sie dürfen nur auf den obersten Inseln – also den Kaiserinseln – leben. Jeder weiß, dass es ihnen dort gut geht, aber es ist dennoch... Ein Gefängnis oder? Ich habe Angst, wenn ich mir das vorstelle. Ich möchte da nicht leben.
Ja, ich bin auch ein Engel. Hab ich dir das noch nie erzählt?
Mein Vater ist gestorben, als ich noch ganz, ganz klein war. Meine Mutter allerdings hat das geschafft, was ihr niemand zugetraut hätte. Sie hat mich versteckt! Ich kann mir nicht mal vorstellen, wie schwer das gewesen sein muss. Hätte auch nur ein einziger meine Flügel verraten, dann wäre ich nicht die, die ich heute bin. Du musst dir vorstellen: Ich kann die Flügel ganz, ganz klein machen, so dass man sie nur sehen würde, wenn ich meinen Rücken zeige. Ich war 5, als ich es geschafft habe, sie zum ersten Mal selbst zu verbergen. All die Jahre hat meine Mutter mich beschützt... Wären meine Freunde, die Gilde, nicht gewesen, hätte es bestimmt nicht geklappt. Die Gilde ist eine Gruppe von absolut verrückten Typen, alles Himmelsstürmer, die eine Bar in der Nähe meines Hauses betreiben. Meine Mutter und mein Vater gehörten auch dazu. Offiziell gibt es natürlich nur die Bar, aber jeder ist stolz auf das, was er macht.
Jeder von ihnen ist irgendwie mein Vater. Jeder von ihnen ist irgendwie meine Mutter. Ich kann verdammt dankbar sein für das, was ich bin und was ich habe. Glaub' mir: Ich bin es. Meine Mutter ist heute zwar keine Himmelsstürmerin mehr, aber jeder ihre Geschichten sind unglaublich. Sie ist um die halbe Welt gereist, hat andere Inseln gesehen und Ruinen erforscht, die weit, weit unter den Sand reichen. Oh! Wenn ich nur daran denke, werde ich ganz aufgeregt!
Hm? Warum ich nicht da hin gehe? Naja... Meine Familie ist hier. Nein! Ich habe keine Angst! Doch ich schule ihnen so viel... Ich kann nicht einfach gehen. Ich bin nicht unglücklich hier, also ist es in Ordnung. Irgendwann werde ich die Welt bereisen und vielleicht auch erfahren, was mit dir passiert ist. Ganz egal ob die Kaiserin das nun möchte oder nicht. Wir sind immerhin alle deine Kinder oder etwa nicht?
Was könnte ich dir noch erzählen?
Vielleicht magst du ja etwas von mir hören. Mein Name ist Sierra. Ich bin, genauso wie meine Mutter, eine Füchsin. Habe allerdings das hellbraune Fell von meinem Vater geerbt. Ich habe blaue Augen und bin 15 Jahre alt. Gerade alt genug, dass meine Mutter mich nicht umbringt, wenn ich dich besuche. Ja, sie ist jedes Mal wieder wütend, aber trotzdem... Sie bringt mich nicht um.
Ich habe langes Haar... N bisschen zu lang sogar. Ich binde es zwar zusammen, aber der Zopf reicht fast bis zu meinem Schwanz. Wenn er noch länger wird, muss ich aufpassen, nicht darüber zu stolpern. Ich habe ziemlich kleine Brüste, aber meine Mutter sagt – jeden Tag – dass das noch wird. Die hat ja auch gut reden...Diese Kuh.
Meine Flügel zeige ich natürlich nie. Niemand von uns spricht über sie... Auch wenn ich sie nicht hasse. Ganz und gar nicht! Ich liebe sie! Immerhin gehören sie zu mir. Doch wenn sie jemand sehen würde... Glücklicherweise ist es schwer, sie in ihrer kleinen Form zu verbergen. Groß werden sie nur, wenn ich das möchte oder ich meine Gefühle nicht unter Kontrolle habe. Also wenn ich richtig, richtig wütend oder traurig werde.
Einen Freund habe ich nicht. Hatte ich auch nie. Wer braucht das schon? Ich hatte noch nie Interesse an Kerlen. In der Gilde sind die eh alle viel zu alt und ansonsten kenne ich nur Idioten. Wer etwas auf dem Kasten hat, denkt nur an das eine... Du weißt schon. Alle anderen finde ich langweilig. Ich bin glücklicher Single und das ist gut so. So kann man bessere Witze darüber reißen.
Du möchtest mehr von den Slums wissen? Natürlich.
Die Straßen, Gebäude und Brücken... Eigentlich alles ist, wie gesagt, aus dem Schrott gebaut, was wir in den Wüsten gefunden haben. Die Kaiserwache weiß davon, aber nimmt es stillschweigend hin. Nicht, dass wir Himmelsstürmer sind, aber dass wir das Zeug brauchen.
Es gibt Maschinen - so wie mein Himmelsbike – die mit Dampf oder dem Nebel selbst angetrieben werden. Ich habe nicht wirklich viel Ahnung davon, aber es ist cool, dass sie sich von allein bewegen können. Ich kann gut fliegen, habe aber wenig Ahnung von Technik.
Mein Himmelsbike, das ich Rave genannt habe, gehörte früher meiner Mutter. Es hat dieselben Düsen, wie die großen Luftschiffe der kaiserlichen sie haben. Keine Ahnung, wie sie da ran gekommen sind, aber vielleicht erfahre ich es ja noch irgendwann. Die meisten anderen Düsen sind nicht so stark. Na gut... Immerhin kommen die ja auch aus der Wüste. Ich bin zufrieden mit dem, was ich habe.
…
Furia? Darf ich dir eine Frage stellen, bevor ich aufwache?
Bist du... Böse auf uns? Meinst du, dass du uns jemals verzeihen kannst? Es macht mir Angst, wenn ich mir vorstelle, dass die Welt, auf der wir leben, uns hasst. Ich würde es verstehen, wenn es so wäre, aber Angst habe ich dennoch. Ich schwöre dir, wenn es einen Weg gibt, dich wieder glücklich zu machen... Dich wieder schön zu machen... Dich einfach wieder zum Lächeln zu bringen: Dann werde ich ihn finden. Wer weiß? Vielleicht ist die Legende ja wahr.
Vielleicht gibt es einen Weg dich wieder erblühen zu lassen.
Wenn... Dann werde ich ihn finden.
…
…
…
Sierra öffnete langsam die Augen und verzog sofort ihr Gesicht. Es war völlig gleich wie viel Mühe sie sich gab vor dem Schlafen das Fenster zu schließen... Am nächsten Morgen waren die Fensterläden wieder offen und rissen sie mit den ersten Sonnenstrahlen aus dem Schlaf. Es war bestimmt schon Mittag...
Die Füchsin lag nackt... Kniete wie immer in ihrem Bett. Sie schlief immer ohne Klamotten – war ja eh nur ihre Mutter im Haus – und genauso wachte sie jeden Morgen einer unmöglichen Positionen auf. Heute: Gewicht auf der Brust, Hintern in die Höhe.
Gestern: Beine auf dem Bett, Kopf auf dem Boden.
Ihre Mutter hatte früher Angst, dass sie schlafwandeln würde, aber das war nicht der Fall.
Jetzt erst mal strecken... Unter den Armen kratzen... Wasser aus der stets neben dem Bett stehenden Feldflasche trinken.
Sierras Haus hatte 2 Stöcke und mehr Zimmer, als sie und ihre Mutter brauchten. Vielleicht war das auch der Grund, wieso sich ihre Mutter so unbedingt einen Freund für ihre Tochter wünschte. Immerhin war sie damals im selben Alter schwanger geworden.
Eine Vorstellung, die Sierra nicht zwingend teilen wollte.
Sie war noch Jungfrau.
…
Die Klamotten, die in den Slums getragen wurden, waren alle gleich: Braun. Hell oder dunkel, aber braun. Trug jemand eine andere Farbe, vor allem die bunten, gehörte er offensichtlich nicht in die Slums. Färber gab es nur auf den Kaiserinseln.
Sierra trug üblicherweise eine Hose – wobei sie auf Unterwäsche verzichtete – und ein ein einfaches Hemd. Um die Brust und um die Flügel... Sowie um die Füße und Hände hatte sie Fetzen ihrer alten Kinderklamotten – ebenfalls braun – gebunden.
Sie hatte wirklich kein Problem mit ihrem Körper und genoss den Anblick im Spiegel, aber es war einfach praktischer. Ihre Flügel waren unmöglich zu sehen – und drückten nicht durch das Hemd, wenn sie sich mal aufregte – und ihre Brüste schlicht sicher. Den Blick lockten ihre 2 ''Blickfänger'' – wie sie es nannte – zwar dennoch, aber immerhin.
Was sie als Himmelsstürmerin, in ihren Augen, auszeichnete: Die Fliegerbrille – sogar mit 2 intakten Gläsern – sowie das darunter befindliche Stirnband. Jetzt noch die Eisenplatte auf die Schulter und ihren Beutel auf die Seite geschnallt. Fertig.
Himmelsstürmerin Sierra fertig zum Einsatz.
…
Als sie aus Versehen in der Drehung zum Fenster mit dem Fuß gegen das Tischbein knallte und kurz vor Schmerz aufschrie, war es schon zu spät. Dass sie sich sofort den Mund zuhielt, schützte sie nun leider auch nicht mehr.
''SIERRA?? BIST DU ENDLICH WACH??''
Sie seufzte innerlich und ließ entsprechend enttäuscht Ohren und Arme sinken.
Beim Schmerz hatte sie ihre Flügel gespürt.
''Ja, Mama. Mit deinem Gebrüll könntest du selbst Leichen wecken!''
''ICH ZEIG DIR GLEICH WAS LEICHEN SIND! DU WARST DOCH WIEDER DIE GANZE NACHT UNTEN ODER?''
''Unten'' war ein gängiger Begriff, der nicht viel Aufsehen erregte.
''Also doch...''
Ihre Mutter stand jetzt in der Tür. Sie trug, wie immer, ein Kleid und eine Schürze. Das Kleid war fast weiß: Es war einst ein Hochzeitsgeschenk gewesen. Ihre Mutter hatte ebenfalls blaue Augen, aber ihr Fell war wesentlich dunkler.
Sie war immer noch schön.
''Aber Mama, ich hab' n paar echt coole Sachen gefunden!''
Ihre Mutter rollte mit den Augen und seufzte. Sierra wusste, dass sie so ihren Stolz zeigte.
''Wenn du meinst deinen Kragen riskieren zu können, dann kannst du dich auch nützlich machen.''
Sierra arbeitete, quasi im Familiengeschäft, als Kurierfahrerin. Diesem Zweck diente zumindest offiziell ihr Rave... Es störte sie nicht, aber wenn man sich schon vor der Arbeit drücken konnte... Wer würde es nicht?
''Zieh nicht so ein Gesicht! Es ist nur ein Paket und ist im Ort. Das wird dich nicht umbringen. Es ist unten. Denk' bitte dran. Alles wie immer.''
Nun war Sierra mit Augenrollen an der Reihe, nickte aber. ''Alles wie immer'' hieß, dass das Paket nur persönlich und nur gegen Bezahlung ausgehändigt werden durfte. Was in Paketen war wusste Sierra nicht, wenngleich nur interessant an den Dingern war, wer sie alles bekam. Sie hatte schon an fast jeder Insel – im Kaiserreich ca. Hundert – ausgelief